Immer wieder bin ich verblüfft, welche Antworten Deutsche mir im Rahmen der Interviews so alles geben. Gestern sprach ich beispielsweise mit einem Geschäftsmann, der auf die Frage, warum er von sich selbst sagt, dass er wenig Vertrauen besitzt, entgegnete:
„Eine gesunde Portion Misstrauen ist doch gut. Ich will ja auch nicht zu gutgläubig sein. Dann werde ich nur enttäuscht.“
Ihr könnt euch vermutlich schon denken, dass dieser Interviewpartner eher von der Sorte Skeptiker war. Mit allem was dazu gehörte. Bevor wir in das Interview starten konnten, ließ er sich von mir erst einmal ganz genau erklären, auf welcher Basis ich meine Länderauswahl getroffen und den Leitfaden für die Gespräche erstellt hatte. Nachdem er das Konzept auf Herz und Nieren geprüft und nichts auszusetzen hatte, konnten wir schließlich loslegen.
Schützt Misstrauen vor Enttäuschung?
Eines fällt mir im Rahmen meiner Interviews mit deutschen Gesprächspartnern immer wieder auf: der Mythos, dass uns Misstrauen vor Enttäuschungen bewahrt, ist weit verbreitet. Und ich bin sicher, diese Denke ist vielen von uns bekannt. Entweder, weil wir selbst davon überzeugt sind, oder weil wir jemanden kennen, der es ist. Im Zweifelsfalle beides.
Nun ist ein Mythos aber keine verlässliche Basis, um sich eine solide Meinung zu bilden. Und genau aus diesem Grund habe ich für euch einen Blick in die aktuelle Forschung zum geworfen.
Ich möchte herausfinden, ob unser Misstrauen anderen gegenüber uns tatsächlich, also statistisch belegt, vor schlechten Erfahrungen bewahrt. Denn genau aus diesem Grund sind wir von Zeit zu Zeit misstrauisch – weil wir glauben uns damit schützen zu können.
Das sagt die Wissenschaft dazu
Die Antwort ist: Nein, Misstrauen schützt uns NICHT vor Enttäuschungen und negativen Erfahrungen. Ganz im Gegenteil. Die Forschung zeigt sogar, dass Misstrauen anderen gegenüber genau das Gegenteil bewirkt. Es fördert das von uns befürchtete Verhalten unseres Gegenübers.
Was bedeutet das konkret? Ein Beispiel dazu: Angenommen, ich leihe einem Bekannten Geld, und bin fest davon überzeugt, dass ich es nicht zurückbekomme. Dann erhöht genau dieses Misstrauen statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit, dass ich mein Geld tatsächlich nie wieder sehe.
In einer Studie an der Northwestern University in den USA haben Forscher herausgefunden, dass Misstrauen wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirkt. Das negative Verhalten, das wir von unserem Gegenüber erwarten, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade deshalb zeigen, weil wir es erwarten (Reuben et. al, 2009). Oder anders gesagt: Hegen wir Misstrauen einer anderen Person gegenüber, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Person nicht vertrauenswürdig verhält.
Misstrauen – eine selbsterfüllende Prophezeiung
Was bedeutet das für unseren Alltag: Wenn wir anderen misstrauen, wirkt sich das auf das negative Verhalten unseres Gegenübers aus. Und zwar auch wenn wir glauben, dass der andere das nicht spürt. Das tut er, wenn auch nicht unbedingt bewusst. Und mehr noch: anderen zu misstrauen steigert sogar das befürchtete, negative Verhalten auf der Gegenseite. Und damit erzielen wir im Grunde genau das, was wir vermeiden wollen. Somit ist Misstrauen als Weg, um uns vor negativen Erfahrungen zu schützen, alles, nur nicht hilfreich.
Seitdem ich das übrigens weiß, überlege ich mir noch genauer, bei wem Misstrauen wirklich angebracht ist, und wo nicht. Dass ich damit auch mal auf die Nase falle, gehört für mich einfach dazu. Die vielen positiven Erfahrungen, die ich gerade durch ein starkes Grundvertrauen mache, sind diese Dämpfer zu 100 Prozent wert.
Reuben, E., Sapienza, P., Zingales L., 2009. Is misstrust self-fullfilling?. Economics Letters 104 (2009) 89-91.
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