Vielleicht kennt ihr das? Ihr habt jemandem vertraut und seid bitterlich enttäuscht worden. Das tut weh, das schmerzt. Und je nach Person und Grund, kann der Schmerz schon mal ein paar Tage oder auch Wochen andauern. Ich vergleiche das gerne mit Liebeskummer: Je wichtiger die Person und je bedeutungsvoller der Punkt, in dem wir enttäuscht werden, desto schwerer fällt es uns, über den Kummmer hinweg zu kommen. Manchmal, bei einer kurzen Affäre beispielsweise, mag das schnell gehen. Wenn jedoch eine langjährige Beziehung ein Ende findet, dann schmerzt das häufig sehr und entsprechend lange.
Unser innerer Kritiker
In meinem letzten Blogbeitrag habe ich euch von einer Geschichte berichtet, in der ich in punkto Vertrauen so richtig enttäuscht bin. Ein Kunde hat mich um Unterstützung für ein dringendes Projekt gebeten, dass er für den Unternehmensvorstand umsetzen soll. Nach getaner Arbeit bleibt er mir nicht nur das Honorar schuldig, sondern behauptet frech, eine derartige Absprache hat es nie gegeben. Am Ende gehe ich bis auf viel Arbeit und eine Menge Ärger leer aus.
Dabei geht es vordergründig um viel Geld. Das, was mich allerdings wirklich beschäftigt, ist das Gefühl, bewusst belogen und benutzt zu werden. Klar ist, mein Gegenüber hat mit Absicht mein Vertrauen missbraucht.
Wie ich darauf reagiere? Anstatt von meinem Kunden enttäuscht zu sein, verstricke ich mich vielmehr in Selbstzweifel. Hätte ich das nicht ahnen können? Bin ich etwa zu naiv gewesen? Hätte ich mir unsere Absprache schriftlich geben lassen müssen? Habe ich eine so schlechte Menschenkenntnis? Warum passiert das gerade mir?
Fragen über Fragen. Und viele von uns kennen das. Gerade dann, wenn wir jemandem vertraut haben und enttäuscht werden, dreht sich unser Gedankenkarussell. Dann suchen viele von uns die Schuld bei sich. Die Frage ist doch, bringt uns das an dieser Stelle weiter? Macht es unsere Enttäuschung kleiner? Hilft uns das für die Zukunft? Nein, das tut es nicht! … Aber was dann?
Was uns wirklich weiter bringt
Ich habe vor einigen Jahren mal ein Seminar mit einem Shaolin Mönch besucht, der uns etwas über die Bedeutung der verschiedenen Zeitzustände lehrte. Er unterschied zwischen drei konkreten Zuständen, die uns helfen, uns selbst und unser Umfeld bewusster wahrzunehmen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und was hat das nun mit Vertrauen zu tun? Eine ganze Menge!
Vertrauen basiert auf der Vergangenheit, wird in der Gegenwart genutzt und ist in die Zukunft gerichtet. Oder anders gesagt:
In der Vergangenheit bauen wir Vertrauen auf, in dem wir Erfahrungen sammeln. Durch das, was geschieht und das, was wir erleben.
In der Gegenwart nutzen oder verschenken wir Vertrauen. Wir entscheiden uns als (bewusst) dafür oder dagegen.
Erst in der Zukunft können wir allerdings beurteilen, ob unser Vertrauen gerechtfertigt war. Denn hier liegt der Moment der Wahrheit.
Die Krux ist: Ob unsere Erwartungen später erfüllt werden, können wir im Hier und Jetzt nicht mit Sicherheit sagen. Denn sonst wäre es nicht Vertrauen, sondern Wissen. Wir treffen also im Hier und Jetzt eine positive Vorannahme, wie sich jemand in Zukunft verhält oder was passieren wird.
All diese Fragen, die uns grübeln und uns an uns selbst zweifeln lassen … All die Selbstvorwürfe, die dazu führen, dass wir uns nach einer Enttäuschung noch schlechter fühlen, als ohnehin schon, können wir uns also sparen. Sie bringen uns nicht weiter und sind uns selbst gegenüber sogar unfair. Denn wir können zu dem Zeitpunkt, wenn wir uns für Vertrauen entscheiden, nicht wissen, dass wir später enttäuscht werden.
Es sei denn, ihr besitzt die Fähigkeit, in die Zukunft zu schauen. Dann, aber auch nur dann, wäre das etwas anderes. : )
Enttäuscht. Und nun?
Ich möchte gerade bei den Selbstzweiflern unter uns das Bewusstsein schaffen, dass wir im Vorfeld nicht wissen können, wie sich jemand verhalten wird. Alles was wir können, ist eine Vorannahme zu treffen. Wenn wir das verinnerlichen, fällt es uns meist deutlich leichter, mit Vertrauensbrüchen umzugehen. Denn wir haben ja in der Vergangenheit nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt – und vertraut.
Das klingt vielleicht provokant. Aber sie hat einen wahren Kern: Enttäuscht werden wir nicht vom Verhalten anderer, sondern von unseren eigenen Erwartungen an sie.
Bevor ihr euch also nach großen Enttäuschungen dafür entscheidet, zukünftig allem und jedem zu misstrauen, überprüft doch lieber einmal eure eigene Erwartungshaltung. Ist sie realistisch? Kann mein Gegenüber das überhaupt leisten? Hat er vielleicht aktuell schwierige Rahmenbedingungen, die darauf hindeuten, dass er die Erwartung nur schwer erfüllen kann, selbst wenn er möchte? Und ganz wichtig: Hört auf euer Bauchgefühl!
Denn eine realistische Erwartungshaltung ist die beste Prävention für Enttäuschungen.
Sehr schön ausgedrückt: Eine realistische Erwartungshaltung. Mir stellt sich nur die Frage: Kann dies ein Mensch vorher wirklich beurteilen? Durch Vorerfahrungen und Emotionen bestimmt ist es mE schwierig zu beurteilen, und nicht jeder besitzt ein gutes Bauchgefühl. Ich habe es für mich anders definiert (im Berufsleben): Alle Vereinbarungen, die auf ein gegenseitiges „Versprechen“ beruhen, schriftlich zu fixieren und wenn nötig auch von jedem unterschreiben zu lassen.
Es gibt in meinen Augen kein mehr: Handschlag ist Handschlag = Vertrag ist Vertrag, egal ob schriftlich oder mündlich.
Ich tendiere eher dazu: Ich gehe auf etwas ein aus bestimmten Motiven (Erwartungshaltungen). Diese sind zu dem Zeitpunkt aus meiner Perspektive richtig für mich. Es kann sich immer im Nachhinein als „Fehler“ herausstellen. Dann ist es aber mMn so, dass ich meine Perspektive ändern muss für diesen konkreten Sachverhalt, der mir bestimmt mit anderen Menschen auch wiederfahren wird. Da kann der Ausgang aber ein Anderer sein.
Wie heißt es so schön durch Erfahrung wird man Klug!
Dies beinhaltet aber auch was Positives: Selbstschutz!
In dieser Hinsicht haben Sie recht, durch Erfahrungen kann jeder Mensch für sich eine aus der Vergangenheit entwickelte zu erwartetenden realistische Erwartungshaltung aufbauen. Dennoch schützt es nicht vor Enttäuschungen, eine Erwartete Enttäuschung ist nicht besser als eine Unerwartete.
Für mich bedeutet es nur: Wie gehe ich damit um? Definitiv auch die Enttäuschung zulassen, denn nur so kann ich lernen etwas Positives für mich zu gewinnen!
Enttäuschungen (unrealistische Erwartungshaltung) gehören mEn zum Leben, eine Vermeidung ist nicht immer möglich; andernfalls dürfte ich keine Wünsche und Ambitionen haben!
* Ein paar Gedanken einer interessierten Leserin 🙂 *
Liebe Frau Kroll,
vielen Dank für Ihre ausführliche Kommentierung. Es freut mich immer wieder zu sehen, zu hören und zu lesen, dass meine Blogartikel andere dazu anregen, selbst über Vertrauen und ihre persönliche Beziehung dazu nachzudenken. Wie bei vielem im Leben gibt es auch hier weder schwarz noch weiß, weder richtig noch falsch. Vielmehr sehe ich den Blog und die Interaktion mit den Lesern aus Raum für Gedanken, als Impuls zur eigenen Meinungsbildung. Ein Stück weit mit meinen Gedanken dazu beitragen zu können, freut mich sehr. Und ihr Beitrag ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass es sich lohnt, meine Gedanken zu teilen. Ganz herzlichen Dank dafür!
Ihre Eva Schulte-Austum
Vertrauen spielt sich in der zwischenmenschlichen Grauzone von Hoffnung und Unwägbarkeit ab und ist ein Katalysator für viele unserer Handlungen, die wichtig für unser Dasein und unsere Entwicklung sind.
Ganze Volkswirtschaften zwischenstaatliches Handeln hängen von solchem Vertrauen ab.
Ohne ein Minimum an Vertrauen hakt es zuviel, und nichts geht voran.
Vertrauen wird geschenkt.
Ich persönlich werde vorsichtig, wenn um Vertrauen gerungen oder gebuhlt wird.
Dann leuchtet bei mir die Alarmlampe „Heiratsschwindler“.
Fettgedrucktes „Vertrauen“ kann ein Hinweis auf Schwindel und Schwindler sein.
Das geht soweit, dass schriftliche Abmachungen oder Dokumente tatsächlich ungültig oder gar gefälscht sein können oder sich schlussendlich trotz formeller und materieller Richtigkeit nicht durchsetzen lassen.
Nict nur im zwischenmenschlichen Bereich, sondern auch bei reputablen Organisationen sollte die eingangs genannte Grauzone an Vertrauen nicht zu weit gezogen werden.
Richtig einschätzen kann man das wohl erst, wenn man genügend eigene Erfahrung gewonnen hat.
Lieber Herr Braun,
herzlichen Dank für Ihren Beitrag. Ich stimme Ihnen zu: 2Richtig einschätzen kann man Vertrauen oft erst, wenn man genügend eigene Erfahrungen gewonnen hat.“
Das habe ich in den vergangen Monaten immer wieder selbst erlebt. Oft tun wir uns schwer damit Neues zu wagen. Weil uns Unbekanntes nicht selten Angst macht. Wobei Angst aus meiner Sicht nicht das Gegenteil von Vertrauen ist, sondern ein Teil dessen. Denn: Vertrauen im eigentlichen Sinne bedeutet, sich auf etwas einzulassen, ohne zu wissen, was geschieht. Sich einzulassen in der Haltung, dass, was immer auch geschieht, wir in der Lage sein werden, damit umzugehen. Um diese Haltung zu entwickeln, uns und unsere Stärken und Entwicklungsfelder besser einzuschätzen, brauchen wir Erfahrungen. Denn Erfahrung schafft Selbstbewusstsein. Und wie das Wort schon verrät: Es bedeutet sich seiner selbst bewusst zu sein. Die eigenen Stärken und Entwicklungsfelder zu kennen. Um sich selbst besser einschätzen zu können. Erfahrungen ermöglichen Selbstbewusstsein. Und Selbstbewusstsein ist einer wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Vertrauen. Somit helfen uns Erfahrungen unser Vertrauen wachsen zu lassen.
Herzlichst
Eva Schulte-Austum